PERLEBERG Mit Elan steigt Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) aus seinem Wagen. Die Aktentasche in der Hand begrüßt er den früheren Landrat Hans Lange (CDU). Am Eingang der Rolandhalle machen derweil die Freien Wähler mit dem Landtagsabgeordneten Péter Vida Stimmung gegen Kreis- und Strukturreform. Schröter schenktihnen einLächeln und sagt: „Ich grüße meine Fangemeinde.“
Für den Minister ist es der 18. und letzte Bürgerdialog über das großeReformvorhaben. Gegenwind ist er gewohnt, Beifall bekam er in den letzten Wochen hingegen selten. Das ändert sich auch an diesem Dienstagabend nicht. Die mehr als dreistündige Veranstaltung startet mit einem Kompliment andiePrignitzer. So zahlreich sei bisher kein einziger Dialog gewesen, selbst in den großen kreisfreien Städten nicht, attestiert Moderator und zugleich Ministeriumssprecher Ingo Decker. Das ist zumindest ein Punktgewinn für die Region, für die es einwohnermäßig die schlechtesten Prognosen innerhalb von Brandenburg gibt.
Beifall für den Landrat
Landrat Torsten Uhe (parteilos) tritt ans Mikro. Ja, die vor uns liegenden Herausforderungen verlangen nach Reformen. So weit könne er mitgehen, aber das war es auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Uhe präsentiert sich angriffslustig: „Ihr Entwurf überzeugt nicht.“ Der Kreistag und er lehnen die Vorstellungen zur Aufgabenverteilung zwischen Land, Kreis, Kommunen sowie die Vorschläge über die künftigen Kreisstrukturen ab. Was bis jetzt vorliege, verlange nach Alternativen. „Sie haben versprochen, dass Kritiken, Meinungen und Hinweise in den Prozess einflie- ßen werden. Ich nehme Sie beim Wort“, sagt er an den Minister gewandt. Was kostet die Reform, wer bezahlt sie? Wie soll durch die Reform Geld eingespart werden. Der Entwurf bleibe die Antworten schuldig. Uhe wiederholt seine Forderung, dieReformauszusetzen, stattdessen alle Kraft in die Bewältigung der Flüchtlingskrise zu stecken. „Kritiker werfen mir vor, diese Forderung sei ein Armutszeugnis. Ichsage, eswäre eine verantwortungsvolle Entscheidung.“
Millionen Euro fehlen
Applaus im Saal, wie schon mehrfach zuvor bei Uhes Rede. Mitarbeiter der Verwaltung, Kommunalpolitiker, Bürgermeister, Landtagsabgeordnete und interessierte Bürger sind gekommen. Für Uhe ein Heimspiel, doch Schröter begegnet ihm auf Augenhöhe: „Ich kann Ihre Einschätzung nicht teilen.“ Auch zu den Flüchtlingen nicht: „Der Wohnungsleerstand ist bei Ihnen mit den Händen zu greifen“, sagt der Minister. Die Einwohnerprognose für das Landund insbesondere für die Prignitz ist düster. 2030 sollen nur noch rund 64 000 Menschen hier leben. „Der Reformbedarf ist mit den Händen zu greifen“, sagt Schröter und lobt seine eigene Regierung: „Wir sind tapfer genug, gegen zu steuern.“ Flankiert wird er von Finanz-Staatssekretärin Daniela Trochowski (Die Linke). Sie ergänzt mit den düsteren Finanzaussichten. Ab 2020 brechen höhere zweistellige Millionenbeträge weg: kein Solidarpakt, keineEU-Mittel, geringerer Länderfinanzausgleich. Damit hat das Land weniger Geld zum Verteilen. Der Umkehrschluss für die Landesregierung lautet: Es muss gespart, Verwaltung muss effektiver werden. In der Lesart des Ministers heißt das: Die Verwaltung muss nicht für weniger, sondern für mehr Einwohner zuständig sein. Eine höhere Fallzahl gewähre mehr Professionalität. Plakativ formuliert: Wer nur einen Blinddarm im Jahr operiert, braucht länger und hat weniger Erfahrung als ein Arzt, der das täglich macht.
Péter Vida greift zum Mikro. Ungern wird ihm das Wort gewährt. Landtagsabgeordnete sollen schweigen, Bürger sprechen. Aber auch ein Abgeordneter ist Bürger und so schleudert Vida dem Minister seine Argumente entgegen. Die Kreisreform von 1993 sei nie wissenschaftlich ausgewertetworden undgrößere Kreise arbeiten nicht effizienter. Dafür gebe es Beispiele in der Bundesrepublik. Thüringen habe die beste Effizienz und das ohne Strukturreform, sagt Vida. „Aber das Thüringer Beispiel haben Sie ja inzwischen aus Ihrer Präsentation gelöscht“, endet er und seine letzten Worte gehen im Applaus unter. Schröter bleibt unbeirrt. Bundesländer seien nicht miteinander zu vergleichen, da sie anders aufgebaut, eine unterschiedliche Aufgabenverteilung haben. Eine wissenschaftliche Analyse sei überflüssig, weil der reine Vergleich der Verwaltungsmitarbeiter von 1993 und heute den Erfolg der Reform zeige. Mit Blick auf die Rolandhalle schiebt Schröter genüsslicheinArgumenthinterher: Oberhavel arbeite effizienter, brauche jährlich 17 Millionen weniger als die Prignitz. „Davon ließen sich drei Rolandhallen bauen.“ Was wie ein Trumpf klingt, ist wenig stichhaltig. Die Prignitz hat als einziger Landkreis im Land ein Schlachthof, muss für diesen per Gesetz Veterinäre beschäftigen und bezahlen. Unstrittig ist, dass ein Großteil der kreislichen Haushalte für Ausgaben im Sozialbereich wie Hartz IV verwendet werden. Die Prignitz hat prozentual mehr Klienten als das boomende Havelland.
Unbeantwortet bleibe die Frage, wie nach einer Fusion Kosten für den Unterhalt von Kreisstraßen geringer werden. „Ihre Länge bleibt doch gleich“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Gordon Hoffmann. Er möchte wissen, wie hoch das Einsparpotenzial durch die Reform ist. „Darauf gebe ich keine Antwort“, sagt Daniela Trochowski. Es gehe nicht um diese Summe, sondern darum, wie Land, Kreis und Kommunen künftig mit dem weniger werdenden Geld auskommen.
Keine Entlassungswelle
„Für wen sind die Reformen gemacht?“, fragt Rosemarie Vogel. Was habe der Bürger davon. Der Personalrat des Kreises möchte wissen,was aus den derzeitrund 750 Mitarbeitern wird. Sie müssten keine Sorge haben, denn bis 2020 gehen viele Mitarbeiter in den Ruhestand, so dass Schröter keine Entlassungswelle befürchtet. Die Verwaltung bleibe bürgernah, sowohl mit Außenstellen wie sie das Finanzamt Kyritz in Pritzwalk praktiziere. Außerdem nehme der Anteil an elektronischen Bearbeitungsmöglichkeiten zu. Aber nur, wenn es überall schnelles Internet gibt, was nicht der Fall sei, mahnen Kritiker im Saal. Landrat a. D. Hans Lange ergreift als letzterRedner das Wort und sagt: „Es gibt nur einen einzigen Punkt, mit dem sich in der Verwaltung Kosten sparen lassen. Wenn man Gesetze abschafft.“ Aber davon stehe nichts im Entwurf. (Von Hanno Taufenbach)