Potsdam (MOZ) Es ist ein Lieblingsprojekt der brandenburgischen SPD - das 2010 eingeführte Extrageld für Abiturienten aus sozial schwachen Familien. Die Anmeldezahlen für das Jahr 2016 lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob es wirklich wirkt.
Schüler-Bafög nennt sich die monatliche Zahlung, die die SPD vor sieben Jahren eingeführt hat. Brandenburg beschritt damit bundesweit einen Sonderweg. Für den früheren SPD-Generalsekretär
Klaus Ness war es ein zentrales Anliegen, um Kindern aus sozialschwachen Familien zur Hochschulreife zu ermuntern. Sie sollten nicht auf höhere Bildung verzichten, nur weil sie bei einer Ausbildung wenigstens Lehrlingsgeld erhalten.
Ness, der vor zwei Jahren verstarb, verwies stets darauf, dass er, aus einer Arbeiterfamilie stammend, nur das Abi machen konnte, weil es damals in Westdeutschland eine Zeit lang eine ähnliche Unterstützung gab.
Im brandenburgischen Ausbildungsförderungsgesetz heißt es, dass Schüler in der gymnasialen Oberstufe die 100 Euro pro Monat beantragen können, wenn ihre Eltern Hartz IV-Empfänger sind oder das Monatseinkommen bei einem Haushalt mit einem Kind nicht höher als 2000 Euro Netto liegt.
Die Statistik des Bildungsministeriums weist aus, dass die Zahl der Erstanmeldungen 2014 bei 1442 lag, ein Jahr darauf bei 1451. Im vergangenen Jahr dann folgte der Absturz auf 1213 Anmeldungen. Nun wird über die Ursachen gerätselt. Das Ministerium vermutet einen Zusammenhang mit den sinkenden Arbeitslosenzahlen. Die SPD-Fraktion verweist auf die Einführung des Mindestlohnes, was wohl zu höheren Einkommen geführt habe.
Allerdings sind die Zahlen regional zu unterschiedlich um allgemeingültige Schlussfolgerungen ziehen zu können. In den wirtschaftlich potenten Landkreisen Dahme-Spreewald oder Teltow-Fläming blieb die Anmeldezahl konstant. In Potsdam-Mittelmark stieg sie sogar von 79 im Jahr 2014 auf 88 in vergangen Jahr, in der Uckermark von 37 auf 59. Dagegen halbierte sich die Zahl im Havelland fast und in Potsdam verringerte sie sich um ein Drittel.
Kathrin Dannenberg, bildungspolitische Sprecherin der Linken im Landtag, kann sich vorstellen, dass in den Kreisen nicht ausreichend für das Schüler-Bafög geworben wurde. Ihre Partei hat als Koalitionspartner zwar die Einführung dieser Förderung von Abiturienten mitgetragen, aber stets am Zweck gezweifelt. Für Dannenberg ist es eine Sozialleistung, die in den betroffenen Familien willkommen ist. Einen Steuerungseffekt kann sie jedoch nicht erkennen. Schließlich entscheide sich der Bildungsweg viel früher, mit dem Wechsel auf das Gymnasium nach der 6. Klasse beispielsweise. Ähnlich sieht es der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Gordon Hoffmann: Eine Hilfe für jeden, der es bekommt. Mehr frühkindliche Förderung würde seiner Meinung nach Kindern aus bildungsfernen Familien besser helfen. Auch Marie Luise von Halem (Grüne) kann sich nicht vorstellen, dass von der relativ geringen Summe die Entscheidung über den Bildungsweg abhängt.
Günter Fuchs, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht den Trend, erst eine Ausbildung zu machen und dann zu studieren. Ihm sei kein Fall bekannt, dass sich jemand wegen des Schüler-Bafög für das Abitur entschieden habe.
Eigentlich sollte die Förderung laut rot-rotem Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode um eine Leistungskomponente ergänzt werden. Wer gute Noten erzielt, würde dann mehr als die 100 Euro erhalten. Das, so ein Sprecher des Bildungsministeriums am Mittwoch, werde aber wegen inhaltlicher Überlegungen noch hin- und hergewälzt. (Von Ulrich Thiessen)
Quelle: www.moz.de/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/1598782/