Es ist ein wichtiges Projekt der Brandenburger rot-roten Koalition: Ab Herbst 2018 soll das letzte Kita-Jahr für Brandenburger Kinder beitragsfrei sein. Das ursprünglich von den Linken betriebene Projekt wurde seit dem vergangenen Sommer auch von der SPD vorangebracht. Doch als der Bildungsausschuss des Potsdamer Landtags am Donnerstag Experten zu der Neuregelung anhörte, zeigte sich an vielen Stellen, dass das neue „Gesetz zum Einstieg in die Elternbeitragsfreiheit in Kitas“ im politisch klar erkennbaren Bemühen, die Brandenburger Eltern noch vor den nächsten Wahlen zu entlasten, wohl mit allzu heißer Nadel gestrickt wurde.
So betonte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Jens Graf, dass die Kindertagesstätten schon heute große Probleme hätten, geeignetes Personal zu finden. Wichtiger als die Beitragsfreiheit wäre ohnehin ein Ausbau der Betreuungszeiten: „Es reicht nicht, wenn das Land nur acht Stunden ausfinanziert“, sagte Graf. Wer mehr als acht Stunden nach Berlin zur Arbeit fahre, benötige auch längere Betreuungen.
Anfang der Woche hatte sich einer der größten freien Träger von Kindertagesstätten im Land, die Fröbel gGmbH, selbst angezeigt, weil sie den vorgegebenen Betreuungsschlüssel nicht mehr einhalten kann. Denn viele Kinder blieben länger als nur 7,5 Stunden in den Kitas, ohne dass es dafür mehr Personal gab. Die Grünen-Abgeordnete Heide Schinowsky nutzte die Sitzung des Ausschusses am Donnerstag, um die Drohung des Potsdamer Bildungsministeriums, Fröbel deswegen die Betriebserlaubnis zu entziehen, scharf zu kritisieren. „Das war keine gute, angemessene Reaktion“, so Schinowsky.
Die Experten indes warnten auch davor, dass durch die Beitragsfreiheit auch die Qualität der Kita-Betreuung in Gefahr geraten könne. „Natürlich kann es zu einer Verschlechterung der Qualität führen, wenn mehr Kinder länger in der Kita sind, weil es nichts kostet“, sagte Anne Baaske von der Arbeiterwohlfahrt. „Wir haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir den Einstieg in die Beitragsfreiheit für die falsche Prioritätensetzung halten“, sagte Andreas Kaczynski, der Vorsitzende der Liga der Wohlfahrtsverbände in Brandenburg. „Wir sehen hier eine direkte Konkurrenz zu den dringend notwendigen Verbesserungen in der Kita-Betreuung.“ Denn die finanziellen Spielräume dafür würden wohl zurückgehen. „Und der Aufholbedarf dieses Landes ist erheblich.“
Das sieht auch die Bertelsmann-Stiftung so: Sollte für Krippengruppen ein Betreuungsschlüssel von 1:3 und bei Kindergartengruppen ein Betreuungsschlüssel von 1:7,5 umgesetzt werden, wie es die Stiftung empfiehlt, wären dafür 8600 zusätzliche Fachkräfte und rund 422 Millionen Euro nötig. Dagegen sagte Regina Thinius vom Jugendamt Potsdam-Mittelmark, dass die Beitragsfreiheit in der Tat ein dringendes Problem sei. Sie führe dazu, dass allen Kindern im Land dieselbe Bildungschance geboten werde und die Armut im Land nicht weiter forciert werde. Allerdings sei der mit dem neuen Gesetz verbundene Verwaltungsaufwand, etwa bei der Prüfung der Satzungen durch die Landkreise, zu hoch. „Wenn wir hier eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Verwaltungsfachangestellte machen wollen, dann sollte das so bleiben“, sagte Thinius.
Die Abgeordneten des Regierungslagers sprachen sich trotzdem weiter für die Neuregelung aus: „Ich freue mich, dass wir endlich mal den Schritt geschafft haben, auch an unsere Eltern zu denken“, sagte die Schwarzbacherin Gabriele Theiß. Bildung müsse von der Kita bis zur Universität kostenfrei sein.
Und auch die Linken-Abgeordnete Kathrin Dannenberg sagte, man wolle mit der Neuregelung nicht Qualität gegen Beitragsfreiheit ausspielen. Vielmehr sollten „in erster Linie die Eltern entlastet“ werden. Dagegen fühlte sich der AfD-Abgeordnete Sven Königer an die Anhörungen zur Kreisgebietsreform erinnert: Die kommunalen Spitzenverbände hätten wieder einmal ärgste Bedenken, weil man nicht an die Kosten gedacht habe, die bei den Kommunen aufliefen.
Und der CDU-Bildungsexperte Gordon Hoffmann resümierte: „Es besteht die Gefahr, dass mit der Entlastung der Eltern etwas Gutes gemacht werden soll, aber die Qualität darunter leidet“, sagte Hoffmann. „Die Landesregierung darf Beitragsfreiheit und Qualität nicht gegeneinander ausspielen und muss dringend das nötige Personal wirklich finanzieren.“
Quelle: https://www.lr-online.de/nachrichten/brandenburg/gut-gedacht-schlecht-umgesetzt_aid-15262549